Teil 2: „Recht auf Arbeit und freie Wahl des Arbeitsplatzes.“ (Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte)
Wenn man einen Vermittlungsvorschlag von der Agentur für Arbeit oder vom Jobcenter bekommt ist man keinesfalls verpflichtet diesen anzunehmen. Mögliche Konsequenzen sind dann wieder extra zu betrachten, aber grundsätzlich muss man keinen Vermittlungsvorschlag annehmen. Das Grundgesetz heißt ja auch nicht umsonst Grundgesetz. Es regeln Grundrecht und grundlegende Rechte.
Warum soll ein Arbeitssuchender einem reflexhaften Aktionismus folgen und sich auf Stellen bewerben, die nicht seinem Berufsbild entsprechen? Warum soll sich ein Kunde, so werden seit einiger Zeit die Arbeitssuchenden bei der Bundesagentur und beim Jobcenter genannt, mit einem Job anfreunden, mit dem er sich nicht identifiziert, der ihm keinen Spaß macht? Warum soll eine Sekretärin sich auch die Stelle einer Altenpflegerin bewerben, respektive eine Umschulung zur selbigen machen, nur weil hier Vakanzen sind? Warum soll ein Klavierlehrer und Musikalienhändler, der seinen Job geliebt hat und ihn mit Passion ausgeübt hat, nun eine Stelle als Lagerarbeiter annehmen? Warum soll eine Producerin aus der Filmbranche mit 25 Jahren Berufserfahrung eine Bewerbung an ein Call Center senden oder sich als Fallmanagerin bei der Bundesagentur bewerben? Wo bitte ist hier die Schnittmenge bei den notwendigen Kompetenzen? Wenn die nachfolgende Stellenausschreibung (siehe Bilddokumentation) ernst gemeint ist, liegen die Qualifikation der Kundin aus dem Filmbusiness in etwa so dicht beisammen, wie Köln und Sydney. Nach welchen Vorgaben oder mit welchen Überlegungen wird hier gehandelt?
Da stellen sich mir etliche Fragen: Wenn ich von Kunden spreche, wüsste mir nicht auch ihre Zufriedenheit, sprich die Kundenzufriedenheit wichtig sein? Was ist die Motivation für diese Vermittlungsvorschläge? Gibt es aus der Führungsetage diese Vorgaben? Quasi nach dem Motto: Hauptsache raus aus der Alimentation. Oder sind die Mitarbeiter an der Front eigenständig auf diese praxisfremde Idee gekommen? Unabhängig von der Betrachtungsweise und der Entscheidungswege, zeugt dieses Vorgehen nicht wirklich von Sachverstand. Es sei denn es gilt die Prämisse rein in einen Job, egal in welchen. Die Mitarbeiter des größten staatlichen Jobvermittlers haben augenscheinlich weder die Qualifikation, noch den Spaß an der Arbeit ihrer Kunden im Fokus. Entspricht das dann noch unserem Grundgesetz und der UN-Charta?
Glauben die Sachbearbeiter, die solche Jobempfehlungen aussprechen ihren eigenen Empfehlungen? Glauben sie im ernst, daß ein Unternehmer, ein Personaler oder Lagerleiter einen überqualifizierten und unerfahrenen Menschen für diesen Job einstellt? Warum sollte er? Er hat doch die Wahl und wird sich für den neuen Mitarbeiter entscheiden, der am aller besten in seine Unternehmenswelt paßt. Das System ist aus meiner Sicht krank und ufert in solchen Fällen spürbar aus. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, wie es Götz W. Werner in seinem Buch „Einkommen für alle“ fordert, gäbe es diesen blinden Aktionismus nicht mehr.
Meine subjektive Wahrnehmung im Zusammenhang mit Job-Speed-Datings ist, daß Ungelernte und Langzeit-Arbeitslose mit Vorliebe als Lagerhelfer oder Produktionshelfer vermittelt werden sollen. Dagegen spricht zu nächst nichts. Befremdlich wird es, wenn auch qualifizierte Kunden in diese Ecke geschoben werden. Ob Überqualifizierung ein Vorteil bei der Einstellung ist darf angezweifelt werden. Ähnlich paradox mutet es an, wenn reflexartig alle Arbeitssuchenden in der Vorbereitung auf ein Job-Speed-Dating zu Kranken- und Altenpflegern umgeschult werden sollen, nur weil es hier dauerhaft Bedarf gibt. Insbesondere im Umgang mit Menschen sollte auch deren Neigung, ein wahres Interesse und Empathie vorhanden sein. Warum sollte ein arbeitsloser Kaufmann in einen Pflegeberuf wechseln, wenn er hieran keinen Spaß hat und es auch nicht seiner Berufung entspricht? Ob die Mitarbeiter der Bundesagentur und der Jobcenter hierauf eine Antwort wissen?
Wird hier nicht ein Grundsatz – der freien Berufswahl – pervertiert und ad absurdum geführt?
Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir uns eingestehen, daß es zukünftig einige Arbeitsplätze nicht mehr geben wird, andere dafür umso stärker nachgefragt werden und wieder andere von Robotern übernommen werden. Das bedingungslose Grundeinkommen würde viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme lösen und dem Grundrecht auf Berufswahlfreiheit entgegenkommen und es auch fördern.
Hier geht es zu Teil 1.
Auszug aus dem Buch „Bewerben ist wie Flirten. Einfach.” von Holger Lüttgen