Doch wieder eine Stechuhr. Freiheit will gelernt sein.

Wochen-Impulse 51/2019

In der drittgrößten deutschen Industriebranche, der Chemie- und Pharma-Industrie, wurde durch den Berufsverbandes VAA (vertritt Führungskräfte und ausgebildete Fachkräfte ohne Führungsaufgaben) eine Umfrage unter seinen Mitgliedern zum Thema Arbeitszeiten durchgeführt. „Fünfzehn Prozent der Befragten sahen sich 35 bis 40 Stunden in der Woche bei der Arbeit, vierzig Prozent bis 45 Stunden und siebenundzwanzig Prozent bis 50 Stunden. Mehr als 50 Stunden sind dann schon weniger üblich – etwa ein Sechstel ist derart viel beschäftigt – und weniger als 35 Stunden kommt selten vor: mit einem Prozent.“1

Ein Viertel der Befragten (tendenziell eher Fachkräfte ohne leitende Aufgaben) erfasst die Arbeitszeit über ein Erfassungssystem, die große Mehrheit, ca. drei Viertel der Führungskräfte, arbeitet auf Vertrauensarbeitszeit. Diese Gruppe arbeitet nach eigenen Angaben länger als die Kollegen mit Zeiterfassung. Der häufig getroffene Zusammenhang zwischen Mehrarbeit und fehlender Stechuhr könnte durch diese Zahlen als bestätigt betrachtet werden. Es bleibt allerdings die unbeantwortete Frage im Raum, ob die Führungskräfte mit technischer Zeiterfassung nicht auch mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten würden.

Eine weitere Frage drängt sich mir auf: Warum wird in manchen Erläuterungen von Statistiken suggeriert das Mehrarbeit nur dem Arbeitgeber diene? Damit wird stillschweigend ausgeschlossen, dass eine motivierte Führungskraft gerne noch ein, zwei Stündchen am Tag dranhängt. Warum auch nicht, wenn die Arbeit Spaß und Freude macht. Das gilt doch auch für Freiberufler und Selbständige.

Die FAZ schreibt in ihrer Ausgabe vom 09.12.2019 zur VAA-Studie: „Auffällig ist, dass überproportional viele sich Arbeitszeiterfassung wünschen: Unter allen Befragten spricht sich jeder Dritte dafür aus. Unter denen, die schon stechen, sind es sogar beinahe zwei von dreien. Wer also einem Modell mit der klassischen dokumentierten Arbeitszeit folgt, der weiß es besonders zu schätzen.“2 Ein Viertel der vom VAA Befragten nutzen, wie beschrieben, ein Zeiterfassungssystem und ein Drittel würde dieses System gerne nutzen. Hieraus resultiert allerdings auch, dass die große Mehrheit der Führungskräfte zufrieden mit der Vertrauensarbeit ist. Wodurch die Aussage des VAA hinsichtlich des Wunsches nach einer Stechuhr eher wiederlegt als bestätigt wird.

Der Arbeitszeitmonitor 2019 kommt in seiner aktuellen Studie, bei der 215.403 Angaben von Mitarbeitern in Deutschland analysiert wurden, zu etwas abweichenderen und differenzierten Ergebnissen. „Mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland leistet Überstunden. Alle Beschäftigten kommen im Durchschnitt auf 3,03 Überstunden pro Woche. Fachkräfte liegen bei 2,7 und Führungskräfte bei 7,8 Stunden.“3

In diesem Kontext spielt sicherlich auch eine Rolle welche Bedeutung dem Beruf und/oder der Work-Life-Balance beigemessen wird. Übe ich meinen Job mit Begeisterung aus, sind anfallende Überstunden nicht störend für meine Balance im Privaten. Sind meine Werte Familie und Sport wichtiger als mein Beruf wird das Pendel bei Mehrarbeit eher zum Negativen ausschlagen. Zu welcher Gattung Arbeitnehmer und Führungskraft ich auch zähle, wichtig ist auf Dauer die innere Ausgeglichenheit und Zufriedenheit hinsichtlich meiner unterschiedlichen Lebenssituationen. Meine Wahrnehmung, mein Empfinden steuert die Richtung der Ausschläge. „Es kam vor allem darauf an, wie die Betroffenen ihre Arbeit empfanden. Körperlich am schlechtesten ging es jenen, die ihren Job eigentlich nicht wirklich mochten. Wer zwar viel, aber gerne arbeitet, leidet demnach nicht automatisch – solange er nicht den Japanern nacheifert.“4

Im besten Fall macht Stress „gesund und fördert das Selbstbewusstsein.“5

In seinem Buch Arbeit und Freiheit – Eine Paradoxie der Moderne „beschreibt Hans-Jürgen Arlt das Paradox unserer modernen Gesellschaft, die Freiheit als ihren höchsten Wert feiert und verteidigt, aber mit der Arbeitstätigkeit eine Lebenspraxis in ihr Zentrum stellt, die in der Regel unfreiwillig und fremdbestimmt ausgeübt wird.“ Quelle Buchbeschreibung „Arbeit und Freiheit – Eine Paradoxie der Moderne“ von Hans-Jürgen Arlt.

Wer im Job wieder nach einer geregelten Zeiterfassung schreit, am besten einer technischen Lösung hat vielleicht noch nicht gelernt mit seiner Freiheit entspannt zu arbeiten. Wer Distress durch Vertrauensarbeitszeit oder durch das Notieren der Arbeitszeiten in ein Excel-Tool empfindet, hat Luft für entstressende Übungen. Anregungen für Veränderungen der Verhaltensweise findest du in den Wochen-Impulsen 49/2019. Vertrauen geschenkt zu bekommen und Freiheit im beruflichen Alltag zu haben bedeutet auch, über ein gutes Zeitmanagement zu verfügen, Grenzen und Prioritäten setzen zu können. All dies geht einher mit einem stabilen Selbstbewusstsein. Freiheit braucht keine Stechuhr!

Arbeitest du lieber mit oder ohne Zeiterfasssung?

Wundervolle Impulse für die nächsten 7 Tage.

Bleibe inspiriert.

Holger

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1 Quelle: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/akademiker-und-fuehrungskraefte-sehnen-sich-nach-zeiterfassung-16521572.html

2 Quelle: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/akademiker-und-fuehrungskraefte-sehnen-sich-nach-zeiterfassung-16521572.html

3 Quelle: ARBEITSZEITMONITOR 2019 Deutschland, COMPENSATION PARTNER, https://www.compensation-partner.de/downloads/arbeitszeitmonitor-2019.pdf

4 Quelle: orange by Handelsblatt, https://orange.handelsblatt.com/artikel/46638

5 Quelle: Wochen-Impulse 49/2019, https://das-felix-prinzip.com/stress-macht-gesund-und-foerdert-das-selbstbewusstsein/