Von der Psychologie des Gehaltsgesprächs

Einfach Karriere – Wochen-Impulse 75/ 2020

Funktioniert der Ankereffekt im Gehalts- und Verkaufsgespräch oder ist er ein zahnloser Tiger? Warum und wann wirkt diese Kommunikationstechnik? Wie kann ich mich vor der Ankettung schützen?

Der Ankereffekt ist ein Begriff aus der Psychologie. Er beschreibt, dass Menschen bei einer getroffenen (Aus-)Wahlen zuvor von vorhandenen Umgebungs-Informationen beeinflusst werden, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst ist.1

Um den Zahlen-Wert einer Sache bemessen zu können, sucht unser Gehirn nach Vergleichswerten. Findet es diese nicht, reicht ihm zur Not auch eine völlig aus der Luft gegriffene Zahl als Bezugspunkt. Zahlreiche Studien in unterschiedlichen Fachgebieten bestätigen die Wirkung dieses Ankereffekts. Das funktioniert nicht nur bei Verkaufsgesprächen und -Angeboten, sondern auch bei Gehaltsgesprächen. Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen den Effekt allgemeingültig und im Speziellen.

„So stellte Thomas Mussweiler zusammen mit dem Psychologen Fritz Strack von der Universität Würzburg in einer Studie von 1997 einem Teil der Probanden die Frage, ob das Brandenburger Tor höher oder niedriger als 25 Meter ist. Die übrigen Versuchspersonen fragten sie, ob es höher oder niedriger als 150 Meter ist. Anschließend sollten die Teilnehmer die Höhe des Tors selbstständig einschätzen. Dasselbe Vorgehen wiederholten die Autoren für den Kölner Dom. Sofern die Probanden die richtige Antwort nicht vorab kannten, orientierten sie sich bei ihrer Schätzung an dem jeweiligen »Anker«: Im Fall eines hohen Vergleichswerts fielen die Schätzungen höher aus als im Fall eines niedrigen“2

„Selbst erfahrene Juristen können im Gerichtssaal verschiedenen psychologischen Einflüssen unterliegen und sich zum Beispiel im Strafmaß an irrelevanten Zahlen orientieren.“2 Die Psychologinnen Birte Englich und Madeleine Bernhardt ließen an der Universität Köln Juristen 2006 in einer Studie eigenhändig Ankerwerte erwürfeln. Die Würfel waren dazu so manipuliert, dass immer die gewünschten Augenpaare von 1 und 2 bzw. von 3 und 6 fielen. Obwohl bekannt war, dass die zufällig gewürfelte Zahl für ihre Entscheidung irrelevant war, fielen ihre Urteile durch die Würfelaugen beeinflusst höher oder niedriger aus. Der Ankereffekt machte einen Unterschied im Strafmass von 50 Prozent aus.3

Der Ankereffekt im Job.

Die Erkenntnisse aus unzähligen Studien lassen sich auch auf Gehalts- und Preis-Verhandlungen übertragen. Preis-Nachlässe/ -Aufschläge werden in Verkaufsgesprächen daher am besten prozentual ausgedrückt. So rückt das Angebot weg vom Ankerpunkt und der wahre Nachlass/ Aufschlag wird verschleiert.

Wirst du in einem Bewerbungsgespräch nach deinen Gehaltsvorstellungen gefragt, bist du natürlich vorbereitet und kannst voller Selbstbewusstsein dein Zielgehalt nennen. Möchtest du beispielsweise mindestens 70.000 Euro haben, erinnere dich an den Ankereffekt und nenne mutig 75.000 Euro. Damit hast du den Anker ausgeworfen und noch Verhandlungsspielraum. Eine höhere Wunschgehalt führt gewöhnlich am Ende auch zu einem höheren Entgelt. Umgekehrt gilt natürlich für die Arbeitgeberseite: Je niedriger dieser einsteigt, desto niedriger fällt auch das endgültige Gehalt aus. Wenn dein möglicher neuer Brötchengeber zu erst die Zahlen auf den Tisch legt achte darauf, dass du jetzt nicht angeankert wirst.

Krummes oder gerades Zielgehalt?

Es gibt noch einen weiteren Aspekt zu beachten: Nutze krumme Beträge statt der üblichen runden. An der Universität des Saarlandes wurde hierzu 2013 eine Studie durchgeführt. Der Hauptakteur war ein Jugendstilsekretär, um den Kunden eines Antiquitätenhandels feilschten. Dabei wurden unterschiedliche Preisschilder verwendet, „auf denen entweder 885 Euro, 900 Euro, 1185 Euro oder 1200 Euro zu lesen war. Wir vermuteten, dass präzisere Zahlen – also Angebote auf 5 Euro genau – dem Gegenüber suggerierten, der Verkäufer habe sich mehr Gedanken über den angemessenen Preis gemacht. Das Ergebnis war verblüffend: Wer mit 1185 Euro in die Verhandlung einstieg, erzielte im Schnitt einen um mehr als 100 Euro höheren Einigungspreis als derjenige mit einem Anfangsgebot von 1200 Euro. Es kommt also nicht nur darauf an, wie weit man seinen Anker auswirft, sondern auch, welche Ankerform man wählt. »Spitzere Anker« – das heißt präzisere Summen – greifen offenbar besser als runde Beträge.“4

Unter Berücksichtigung des vorgenannten Ankereffekts ist es sinnvoll den Gehaltswunsch auf beispielsweise 74.850 Euro zu senken. Der um 150 Euro niedrigere Ankerwert läßt sich verschmerzen, da erfahrungsgemäß die Größenordnung der Verhandlungsschritte kleiner ist. Bei sehr konkreten Gehaltsvorstellungen wird eher in 50- oder 100-Euro Schritten verhandelt, wodurch das Wunschgehalt nicht stark unterschritten wird. Bei runden Summen dagegen wird ebenfalls in runden Beträgen – 1.000 Euro – nach unten verhandelt.

Das Wissen um den Ankereffekt ist keine Garantie, dass du bei der nächsten Gehaltsverhandlung dein Ziel-Entgeld bekommt. Die Gegenseite kennt dieses Prinzip vielleicht auch. Einen Versuch ist es allemal wert. Spring über deinen Schatten und nenne selbstbewusst eine „krumme“ Summe.

Wundervolle Impulse für die nächste Woche.

Bleibe inspiriert.

Holger

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1 Vgl Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik, http://lexikon.stangl.eu/5691/ankereffekt/

2 Quelle: www.gehirn-und-geist.de, 03.2012, Urteil mit Schlagseite, Birte Englich und Madeleine Bernhardt

3 Vgl. Daniel Kahneman, Schnelles denken, langsames Denken, Penguin Verlag München, 11. Auflage, Seite 159 – 160

4 Quelle: www.gehirn-und-geist.de, 05.2014, Erfolgreich beim Gehaltspoker, David Loschelder und Roman Trötschel

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