EU-Bürgerin soll nach 20 Jahren Berufstätigkeit in Deutschland mit zwei minderjährigen Kindern ausgewiesen werden.
Haben Kommunen eine geplante Abschiebe-Quote?
Ich bin betroffen, im doppelten Sinn. Es trifft eine gute Bekannte von mir (Namen und Wohnort lasse ich bewusst noch weg), wodurch erstmalig für mich eine Abschiebung einen Namen und ein Gesicht hat. Darüber hinaus macht mich dieser Beschluss wütend und fassungslos. Am schlimmsten ist nicht die empfundene Ungerechtigkeit, sondern, dass ich erstmals die Politikverdrossenen in Deutschland verstehen kann. Was treibt die kommunalen Vertreter hierzu an?
Die Abschiebung von Menschen aus Nicht-EU-Ländern funktioniert seit Jahren eher in homöopathischen Dosen. Gleichzeitig wird über die Familienzusammenführung von Asylanten debattiert und eine intakte, deutsch-sozialisierte und steuerzahlende Familie auseinander gerissen. Wird hier eine Alibipolitik betrieben? Soll mit solchen Methoden am linken und rechten Rand gefischt werden?
Wahrscheinlich ist der Fall in der Bundesrepublik nicht einzigartig, aber von seiner Faktenlage dürfte er, hoffe ich, schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal haben. Am Niederrhein geboren, als Kind mit den Eltern in deren Geburtsland Jugoslawien ausgereist, in den Wirren des Bürgerkriegs mit den eigenen Kindern über Umwege wieder nach Deutschland in die Geburtsstadt am Rhein eingereist. Hier 20 Jahre berufstätig, noch zwei weitere Kinder geboren, in die Sozialversicherungen eingezahlt und mit einem Unternehmer verheiratet, der hier Steuern zahlt. Alle Kinder sind am Niederrhein zur Schule gegangen, sprechen wie die Mutter besser Deutsch, als der eine oder andere Pass-Deutsche.
Die Verantwortlichen der Stadt haben der Kroatin (EU-Bürgerin), die in Deutschland mehr als ihr halbes Leben verbracht hat, die Abschiebung mit den beiden noch minderjährigen Kindern übermittelt. Grund: Kurzzeitige Arbeitslosigkeit und Bezug von Arbeitslosenhilfe. Die Behördenvertreter haben sie aufgefordert neben ihrer Umschulung, die sie derzeit macht, einen Job in Nachtschicht anzunehmen, um die notwendigen 800,- €/Monat zu verdienen, um so die Abschiebung zu stoppen. Wann sich die Mutter und Ehefrau um die Kinder, den Haushalt, den Partner und ihre Weiterbildung kümmern soll, ist den gesetzestreuen Beamten scheinbar recht gleichgültig. „Schlafen könne sie zwischendurch mal ein Stündchen“, wurde ihr beschieden. Damit wäre die Abschiebung vom Tisch, weil sie der Stadt nicht mehr auf der Tasche liegt. Das nenne ich mal einen straffen Zeitplan. Bleibt zu hoffen, dass diese fleißigen Beamten auch soviel arbeiten.
- Verlieren Behörden die Verhältnismäßigkeit beim Abschieben aus den Augen?
- Könnte es sein, dass Anweisungen blind ausgeführt werden, ohne die eigenen grauen Zellen zu nutzen?
- Schieben möglicherweise rechtsorientierte kommunale Vertreter häufiger und rigoroser ab?
- Wie passt in diesem konkreten Fall die im Grundgesetz als höchstes Gut benannte Menschenwürde mit der Ankündigung zur Abschiebung zusammen?
Losgelöst von reflexartigen Stammtisch-Parolen, die auch noch dankend von der für mich falschen Seite aufgenommen würden, wünsche ich mir nachvollziehbare Antworten. Am liebsten von der Politik. Für mein Rechtsempfinden stimmt hier vieles nicht. Wie sehen Sie den Fall Herr Minister Dr. Joachim Stamp?
Ich wünsche einen regen und aktiven Austausch. Mehr hierzu sicherlich in Kürze.
Bleibt inspiriert.
Holger
Hintergründiges – gut zu wissen.1
„Ausweisung bei
Arbeitslosigkeit
Wer
in Deutschland gearbeitet und in die deutsche Sozialversicherung
eingezahlt hat, hat nach EU-Recht die gleichen Rechte, von denen auch
ein deutscher Arbeitnehmer profitieren würde. Das gilt auch für den
Anspruch auf Arbeitslosengeld. Wer in Deutschland Arbeitslosengeld
bezieht, behält den Status des „Arbeitnehmers“. Eine
laufende Aufenthaltsgenehmigung müsste dementsprechend verlängert
werden. Durch eine Ausweisung würde man den Anspruch auf
Arbeitslosengeld verlieren. Dies wäre sicher eine unzulässige
Diskriminierung, denn dem EU-Ausländer stehen die gleichen
Vergünstigungen zu wie einem deutschen Arbeitnehmer.
Schwieriger ist der Fall bei der Arbeitslosenhilfe. Denn sie wird nicht mehr vom Sozialversicherungsträger bestritten, sondern aus Steuermitteln des Bundes bezahlt. In einem ähnlich gelagerten Fall ist das Verwaltungsgericht Oldenburg vor einiger Zeit davon ausgegangen, dass ein Empfänger von Arbeitslosenhilfe nicht mehr als „Arbeitnehmer“ in Sinne des EU-Rechts zu betrachten ist. Dieses Urteil hat heftige Diskussionen ausgelöst. Deshalb sollte man sich in jedem Fall durch einen Anwalt oder den Bürgerberater der Europäischen Kommission beraten lassen.“
1Quelle: http://www.eu-info.de/leben-wohnen-eu/aufenthaltsrecht-eu/ausweisung-eu-auslaender/