Persönlichkeit schlägt Zeugnisse.

Wochen-Impulse 48/19

Zeugnisse und Zertifikate habe nur eine bedingte Aussagekraft, da sie die Vergangenheit mit situationstypischen Rahmenbedingungen widerspiegeln in denen jemand gut oder weniger gut performt hat. Ist es klug als Unternehmensführer und Personaler dieser Art der Kompetenzbeurteilung nachzuhängen? Guten Noten gelten als Türöffner ohne das diese jedoch eine Sicherheit bieten, dass der Betreffende mit einer neuen, veränderten Situation in der Zukunft ebenso gut zu Recht kommt. Wir setzen tendeziell entweder das Positive oder das Negative voraus. Unsere Glaubenssätze bestimmen was wir wahrnehmen wollen und wie wir mit potentiellen neuen Mitarbeitern umgehen. Es wird Zeit diese Zeugnisgläubigkeit nicht nur zu hinterfragen, sondern sich von dieser eindimensionalen Betrachtungsweise zu verabschieden. Sie ist im 21. Jahrhundert antiquiert.

Wer sich mit Migranten und deren Integration beschäftigt hat, wird festgestellt haben, das wir uns gesellschaftlich schaden, wenn wir weiterhin auf Zeugnisse und eine Ausbildung deutscher Prägung bei diesen Mitmenschen pochen. Sehenden Auges übersehen wir Potentiale, die diese Menschen mitgebracht haben, weil der Politik, den Unternehmern, Personalern und den Jobcenter-Mitarbeitern eine Flexibilität fehlt, die es möglich macht auch mal über den Tellerrand zu schauen. In Syrien, im Irak, in Afganistan oder wo auch immer die neuen Bundesbürger herkommen, haben sie mit ihren Fähigkeiten, z.B. im Handwerk, ihre Familie ernährt und die Wirtschaft stimmuliert. Da es aus deutscher Sicht nichts Anerkennenswertes gibt, bleiben diese Kompetenzen immer noch zu oft ungenutzt. Stattdessen zwingen wir die Menschen in eine Ausbildung oder Umschulung, damit sie unseren Vorstellungen nach beruflicher Bildung und damit Einsetzbarkeit gerecht werden. Die meisten von ihnen wollen direkt arbeiten, weil sie es so gewohnt sind. Darüber hinaus stärkt es ihr Selbstwertgefühl, ihr Verständnis von Integration und Deutschlernen. Learning-by-Doing funktioniert doch auch bei Kindern – durch Abschauen und Kopieren. Zeugnisgläubigkeit bringt uns gesellschaftlich und wirtschaftlich nicht weiter. Auf diese Weise wird Potential quasi vernichtet, weil es brach liegen bleibt.

Das es auch anders gehen kann beschreibt der ehemalige Ausbildungsleiter von Trumpf. „Wir brauchen bei der Auswahl der Auszubildenden eine am Potential orientierte faire Aussage, die die Berufsbefähigung des Schulabgängers in den Mittelpunkt stellt. Und das ist definitiv nicht die Schulnote,“ so lautet der Appell von Andreas Schneider in einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten vom 28.03.2018.1

Warum sind wir im Personalbereich eher geneigt die Mitarbeiter passend und gleich zu machen, statt deren einzigartige Fähigkeiten zu nutzen? Warum finden wir nicht kreative Wege, um einen handwerklich geschickten Menschen, dem unsere so geliebten theoretischen Kenntnisse fehlen, dennoch einzustellen? Theorie läßt sich separat und gezielt vermitteln, da wo notwendig, auch ohne die so geliebten Zertifikate.

Das Denkmodell der Mensch muss zum Unternehmen passen hat sich überlebt. Nur wahrhaben wollen das die Wenigsten, obwohl die Gallup-Studie seit fast 20 Jahren durch ihren jährlichen Engagement-Index belegt, wie schlecht es um die Identifikation zum Arbeitgeber gestellt ist, wie niedrig das Engagement und die Zufriedenheit sind. Innerlich gekündigt oder Dienst nach Vorschrift machen 85% der Arbeitnehmer. „Die Führungskräfte dieses Landes sind die Verantwortlichen für diesen volkswirtschaftlichen Schaden. Zumindest, wenn die Ergebnisse der Gallup-Studie zu Grunde gelegt werden. „Führungskräfte müssen sich bewusst sein, dass sie diejenigen sind, die durch ihr Verhalten einen erheblichen Einfluss auf die Unternehmenskultur haben. Denn emotionale Bindung wird im unmittelbaren Arbeitsumfeld erzeugt“, sagt Marco Nink, Regional Lead Research & Analytics EMEA bei Gallup.“2

„Hört auf Menschen als Produktionsmittel zu betrachten“ schreibt Nico Rose in DIE ZEIT vom 16. November 2019. „Der Begriff Human Resources birgt eine Doppeldeutigkeit, […]. Gemäß der konventionellen Perspektive geht es um den Menschen als betriebswirtschaftliche Größe, um die Frage, wie sich die humane Ressource im Zusammenspiel mit weiteren Ressourcen des Unternehmens (Finanzmittel, Anlagen usw.) optimal als Produktivfaktor einsetzen lässt.“ Auch der Begriff Human Capital orientiert sich mehr an der Produktivität, die ein Mitarbeiter erzielen kann, als am Menschen. Hier fühle ich mich zurückversetzt ins ausklingende 19. Jahrhundert, in dem die Arbeitskraft der Arbeitnehmer ohne Rücksicht ausgebeutet wurde.

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel im Personalwesen.

Der Mensch sollte im Mittelpunkt stehen mit seinen Kompetenzen und seiner Persönlichkeit: People first. Noch haben wir in etlichen Bereichen der Wirtschaft einen Fachkräfte-Mangel. Dieser kann nur mit modernen, zeitgemäßen und flexiblen Lösungen der Unternehmer und Personalverantwortlichen behoben werden. Mensch vor Ertrag ist eine Antwort, die viele Facetten beinhaltet und beiden Seiten Gestaltungsspielraum bei der Zusammenarbeit bietet. Geistige Flexibilität vorausgesetzt.

Wir benötigen noch einen zweiten Paradigmenwechsel: Bei den Arbeitnehmern.

Es erfordert Bereitschaft die bisherige Denke zu hinterfragen und durch eine geänderte Blickrichtung zu ersetzen. Das Unternehmen muss zu mir passen sollte die neue Maxime sein. Ein erneuter Blick auf die Gallup-Studie belegt, wieviele Potentiale der Mitarbeiter ungenutzt sind, weil sie uninspiriert arbeiten. Die neue Sichtweise fordert den Arbeitnehmer deutlich mehr als zu vor. Soll der Job zu mir passen, ist es notwendig zu erkennen was ich will, was nicht und was meine Kernkompetenzen sind. Sprich, was mich von meinen Marktbegleitern abhebt. Nicht zu letzt sollte ich wissen warum ich den Job machen will, den ich machen will. Finde ich keine Antwort, sollte ich mir einen anderen Job suchen. Wie ich dieses intelligente Selbstmarketing umsetzen kann, habe ich in meinem aktuellen Karriere- und Bewerbungs-Ratgeber beschrieben.

People first. Mensch vor Ertrag bedeutet ein Umdenken.

Der moderne Umgang mit Mitarbeitern macht sich schnell für den Arbeitgeber bezahlt. Unternehmen, die ihren Arbeitnehmern Gestaltungsspielraum lassen, ihnen Entscheidungskompetenzen zugestehen, die Kreativität, Freiräume und Vielfalt fördern, werden durch motivierte Mitarbeiter belohnt. Das ist spürbar, schon montagmorgens und immer noch freitagabends. Das Job-Characteristics-Model nach Hackman und Oldham beschreibt das Motivationspotential durch Arbeitsplätze und Aufgabenfelder: „[…] die Vorstellung, dass Personen ihre Arbeit nicht durch Zwänge oder andere äußere (extrinsische) Anreize veranlasst tun, sondern aufgrund von Anreizen, die durch die Ausführung der Arbeitstätigkeit selbst vermittelt werden. Hackman und Oldham knüpfen eine intrinsische Arbeitsmotivation an drei wesentliche Bedingungen: Erstens muss die Arbeitsperson ein Wissen um die Ergebnisse ihrer Arbeit haben, um ein erzieltes Arbeitsergebnis nach Maßgabe eigener oder fremder Standards beurteilen zu können. Zweitens muss die Person sich als selbstverantwortlich für die Ergebnisse der Arbeit erleben, und schließlich muss sie die Arbeit als bedeutsam und wertvoll einschätzen.“3

Perönlichkeit sollte im Zweifel immer Note und damit Zeugnis schlagen, weil sie die längere Halbwertzeit hat und mehr über einen Menschen aussagt. People first – Mensch vor Ertrag – setzt auf beiden Seite eine geänderte Sichtweise voraus, die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur einen Win-Win-Situation darstellen kann. Einfach mal zulassen – den Gedanken.

Wundervolle Impulse für die nächsten 7 Tage.

Bleibe inspiriert.

Holger

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1 Zitat: Andreas Schneider, ehem. Ausbildungsleiter bei Trumpf, heute freiberuflicher Berater

2 Quelle: Wochen-Impulse 13/2019, Das Felix-Prinzip

3 Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Job-Diagnostic-Survey#Das_Job-Characteristics-Model

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