Felix´s Impulse 124/ 2023
Sie können eine Falltiefe haben. In einen Beratungsgespräch dieser Woche ging es um die Nachwehen eines Bewerbungsgespräches, vielmehr war es ein erstes Kennenlernen per Video-Call. Dennoch ging es schon ans Eingemachte. Der Vertreter eines deutschen Unternehmens, welches auch international tätig ist, sucht einen Mitarbeiter für den Vertriebsinnendienst Export. Meine Kundin hatte sich auf eine andere Stelle beworben, das HR sah sie jedoch besser in dieser Position.
Die Bewerberin hat über ein Jahrzehnt bei einem großen, namhaften amerikanischen Großkonzern gearbeitet. Dieser hatte es dem Vertreter des Arbeitgebers in diesem Interview angetan. Er wollte wissen, wie sie mit Stress in diesem amerikanischen Unternehmen umgegangen sei. Eine interessante Frage.
Woher weiß er, dass es Stress für die Mitarbeiter war ihre tägliche Arbeit zu erledigen? Hörensagen, Vermutung oder eigene Erfahrung. Meine Kundin hat das nicht hinterfragt. Verständlich in der Situation, aber dennoch schade. Das Gespräch hätte eine andere Wendung genommen. Raus aus der Defensive, rein in die Offensive – es wäre ein Gespräch auf Augenhöhe geworden. Eine weitere Frage, statt einer Antwort, hätte auch die Balance des Gesprächs gefördert. „Was verstehen Sie unter Stress?“
Nur weil wir gesellschaftlich Stress gerne als negativ betrachten, uns mitunter auch brüsten, dass wir Stress bei der Arbeit haben, um zu zeigen was ich für ein toller Kerl bin, müssen diese Vorannahmen nicht stimmen. Die Psychologie unterscheiden aus gutem Grund in Distress (neg.) und Eustress (pos.). Letzterer hat eine durchaus motivierende, stimulierende Wirkung. Hinzu kommt noch, dass Stressempfinden etwas ganz Subjektives ist. Was für den Einen Distress ist, ist für den Anderen möglicherweise Eustress.
Die gestellte Frage hätte Potential für einen spannenden Austausch gehabt. Leider sind beide Seiten im Oberflächlichen geblieben.
Was wollte der potentielle Chef nun konkret wissen? In der Berufswelt wird wahrscheinlich eher von negativem Stress ausgegangen. Hilft es wirklich zu wissen wie meine Kundin in der Vergangenheit mit negativem Stress umgegangen ist? Ich behaupte nur bedingt. Ebenso wie Zeugnisse und Lebensläufe nur eine Aussage zur abgeschlossenen Lebensphase bescheinigen, ist auch ein ehrliche oder geschönte Antwort nur eingeschränkt valide für die Zukunft nutzbar. Dennoch machen wir das alle tagtäglich, zumindest wir, die im HR tätig sind. Ich kann in der Vergangenheit stressresistent gewesen sein, bin es aber möglicherweise bei dem neuen Arbeitgeber nicht, weil die Rahmenbedingungen ganz andere, die Mitarbeiter andere sind und auch der Chef und die Unternehmenskultur andere sind.
Wir treffen ohne Einsatz eines wissenschaftlich validierten Persönlichkeitstest – z.B. Reiss Motivation Profile – bei Einstellungen wohlwollende Annahme. Eine Wahrscheinlichkeitsrechnung mit etlichen Unbekannten. Auch der Einsatz von Skillmanagement mit einer HR-Software im Hintergrund kann hier gewinnbringend unterstützen und die Unbekannten in der Gleichung minimieren.
Mein Physiklehrer hat immer gesagt, verständige dich auf den Ausgangspunkt und beginne erst dann zu diskutieren. Als Schüler wollte mir das nicht so wirklich einleuchten. Auch in diesem konkreten Fall wäre es hilfreich gewesen. Woher weiß der Interviewpartner, dass es bei dem amerikanischen Unternehmen Stress gab, welchen soll es dort gegeben haben und was versteht er unter diesem?
Die beiden Gesprächspartner hätten gemeinsam gewonnen, wenn sie sich auf den Weg der Klarheit gemacht und den Mantel der Oberflächlichkeit abgelegt hätten. Nicht immer leicht, aber lohnenswert – die Qualität der Informationen steigt.
Ich persönlich halte von Stress-Fragen nichts. Es sei denn sie werden in einen Arbeitskontext gestellt und der potentielle neue Mitarbeiter wird gebeten zu beschreiben wie er mit der Situation umgeht.
Wundervolle Impulse für die nächste Woche.
Bleibe inspiriert.
Holger
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