Wochen-Impulse 30/2019
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“
Die Worte von Molière aufgreifend sollte jeder im Beruf und darüber hinaus Verantwortungsbewusstsein haben und es auch ausüben. In einigen Jobs ist diese Kompetenz zwingend notwendig und ihr Fehlen könnte fatale Folgen haben. Piloten, Chirurgen oder Feuerwehrleute müssen berufsbedingt verantwortungsbewusst handeln, weil sie minütlich für einen oder mehrere 100 Menschen die Verantwortung tragen. Es kann um Leben und Tod gehen.
Wikipedia definiert diesen Soft Skill wie folgt: „Das Verantwortungsbewusstsein geht über die gefühlte, geahnte Verantwortung hinaus. Es bedeutet zunächst die bewusste Kenntnis oder das Erkennen des gültigen Normativen. Erweitert bedeutet Verantwortungsbewusstsein, dass der Mensch für sein aktives Tun bzw. Unterlassen einsteht, also sich verantwortlich fühlt. Dieses wird von der Gesellschaft (Familie, Freunde, Arbeitsumfeld, Vereine, der Staat usw.) teilweise auch eingefordert. Insbesondere bei diktatorischen oder ideologisierten Gesellschaften wird an das Verantwortungsbewusstsein appelliert.“
Das Paradoxon liegt in der Zwiespaltigkeit des Begriffs Verantwortung. Sie haben und ausüben wollen auf der einen, die Konsequenzen jedoch nicht übernehmen wollen auf der anderen Seite. Der Klassiker aller Fragen des Chefs „Wer ist dafür verantwortlich?“ soll bei dem einen oder anderen Mitarbeiter schon zu Schweißperlen auf der Stirn oder zu einem Rinnsal auf dem Rücken geführt haben. Wenn es um die Übernahme von Verantwortung geht, dann gehen viele Angestellte schon mal gerne auf Tauchstation. Frei nach dem Motto: Wasche mich, aber mach mich nicht nass.
Eine weitere gerne verwendete Frage von Personalverantwortlichen lautet: Wie konnte das passieren? Als Angesprochener könnte ich mich schon in die Ecke gedrückt fühlen und nach Worten ringend eine Rechtfertigung nuscheln. Warum in die Verteidigungshaltung gehen? Warum nicht selbstbewusst die Sachgründe benennen. Entweder will dein Chef einen selbst- und verantwortungsbewussten Mitarbeiter oder nur einen anweisungsorientierten Abarbeiter.
Die empfundene Freiheit durch mehr Verantwortung kann im Arbeitsalltag subjektiv auch als Druck wegen möglicher Konsequenzen empfunden werden. Wirklich Verantwortung übernehmen bedeutet automatisch, Fehler einzugestehen und dafür zu haften. Das Eine bedingt das Andere; hier sollte ich mich entscheiden was ich will. Ein bischen schwanger geht eben auch nicht.
„Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimmst.“ Dante Alighieri
Je höher die Karriereleiter, desto größer und weitreichender der Entscheidungsspielraum. Unabhängig von der Hierarchiestufe: Unternehmen bezahlen ihre Mitarbeiter und Führungskräfte dafür, dass sie Verantwortung übernehmen und Entscheidungen im Sinne der Unternehmensziele treffen. Mit der Höhe Position steigen daher auch Gehalt und Verantwortung. Wird dies tatsächlich vollumfänglich von Unternehmern und Führungskräften gelebt?
Ein Minister, der 54 Millionen EURO zu optimistisch, u.a. in zusätzliches Personal, investiert und Verträge geschlossen hat, die möglicherweise 300 Millionen Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, hat höchstens einen Untersuchungsausschuss zu fürchten. Eine Reduzierung der Ministerbezüge oder eine Kürzung der Pensionsansprüche sind in solchen Fällen nicht vorgesehen. Die Sanierung der Gorch Fock hat das Verteidigungsministerium augenscheinlich gedankenlos und ohne fachkundige Kontrolle beauftragt. Auch mit der Kostenexplosion sind die Verantwortlichen umgegangen, wie mit Explosionen auf dem Feld. Sie gehören einfach dazu. Wo bitte bleibt hier das Verantwortungsbewusstsein? Diese Kompetenz scheint in der Politik nicht nötig zu sein. Die Zeche zahlt der Steuerzahler. Bei Unternehmen die Mitarbeiter, im Zweifel mit ihrem Job.
Von der Willkür bei der Akzeptanz und Anerkennung von Ausgaben oder wie ich für meine wirtschaftlichen Fehler geradestehe, könnten die genannten Beispiele überschrieben sein.
Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Selbe, sagt der Volksmund. Und, er hat mal wieder recht. Bringen Manager oder Minister ihr Unternehmen oder ihr Ministerium in Schieflage, hat das weniger einschneidende Auswirkungen als zusätzliche Einnahmen bei einem ALG-2-Leistungsempfänger. Bei denen, die wahrscheinlich jeden Cent benötigen, werden Kindergeld und BAföG leistungsmindernd angerechnet (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 ALG II-VO und § 7 Abs. 5 SGB II).
Schon Paradox. Das Kindergeld sollte dem Kind zu Gute kommen – wer Kinder hat, die im Wachstum sind, weiß, dass sie schnelle aus ihrer Garderobe herausgewachsen sind. Die monetäre Ausbildungs- oder Studiums-Unterstützung sollte dem Azubi oder Studenten zu Gute kommen, damit er seine Mehrkosten, u.a. für Fachliteratur decken kann. Der Gesetzgeber hat einen anderen Plan für die Ausgabe von staatlichen Zuwendungen vorgesehen. Ist das gelebtes Verantwortungsbewusstsein? Die einen werden sagen ja, die anderen nein. Ich gehöre zu letzteren.
Manager und Politiker dürfen ungestraft Millionen falsch ausgeben und damit die Bilanz ruinieren. Die obersten Führungskräfte haben nicht viel zu befürchten, weil Kontrollgremien versagen, wegschauen oder höchstens den Mitarbeiter von den Aufgaben freistellen. Es versteht sich, dass dieses vertrags- und rechtskonform unter Zahlung einer satten millionenschweren Abfindung erfolgt. Statt den Mist selber auslöffeln zu müssen, dürfen andere das machen und es gibt oben drauf noch Schmerzensgeld für die Zeit der beruflichen Pausen.
Es gibt sie noch, die Beispiele verantwortungsvollen Handelns.
Wolfgang Grupp, der Inhaber von Trigema, haftet in seinem Unternehmen mit seinem Vermögen vollumfänglich, weil es als Gesellschaftsform den eingetragenen Kaufmann (e.K.) hat. Fehlinvestitionen gehen direkt zu Lasten seines Portemonnaies. Er hätte es sich einfach machen können, was nicht seinem Naturell entspricht, und eine Kapitalgesellschaft gründen können. Dann hätte er sein Haftungsrisiko auf das Stammkapital minimiert. Als Kaufmann prüft Herr Grupp seine Entscheidungen möglicherweise mehrfach und wägt ab, weil Existenzen an seiner Entscheidung hängen. Die Eigene, die seiner Familie und vor allem die Familien seiner Angestellten. Das ist gelebte soziale Verantwortung.
Zurück zur Politik und einem Wortspiel, was ich mir nicht verkneifen kann, Herr Minister Scheuer, ganz schön [be]Scheuer[t] ihr Handeln rund um die Maut inkl. Ihrer Art des Verantwortungsbewusstseins. Es ist ein Unterschied, ob ich eigenes Geld oder mir anvertrautes Geld verbrenne, wie das Beispiel der Maut deutlich macht. Mit dem eigenen Vermögen geht man möglicherweise achtsamer um, weil „schwer“ verdient. Beim Fremden könnte sich eine gewisse Nachlässigkeit einschleichen, die durchaus auch bei fremdem Eigentum zu beobachten ist.
Wer heute mal in Schulen oder Hochschulen den Gang zum nicht wirklich stillen Örtchen antritt, weiß was ich meine. Graffiti, Brandpflecken und Zerstörung wohin das Auge schaut. Diese unterschiedliche Wertigkeit von „Eigen“ und „Fremd“ ist nicht nur ein erschreckendes Abbild unserer Gesellschaft, sondern auch gelebte Realität durch unsere gewählten Volksvertreter. Nein, sie zündeln nicht, zumindest nicht mit offener Flamme und besprühen werden sie höchstens im übertragenen Sinn die Demokratie, weil sie sie beflecken durch fehlendes Verantwortungsbewusstsein und mangelnden Realitätssinn. Ob es Eitelkeit, drohende Verletzung des Egos oder sonstige Gründe sind, die den einen oder anderen Politiker und Manager beim Ausgeben von staatlichen oder Unternehmensgeldern jegliche Vernunft und Rationalität außeracht lassen lässt, dürfen Psychologen entscheiden.
Fakt ist, dass die Bereitschaft Geld an sozial schwache Mitbürger nicht auszugeben deutlich größer ist als Geld für Prestige-Objekte zu investieren. Da sich der gesellschaftliche Aufschrei bei 135 Millionen für die Gorch Fock ebenso im nicht Hörbaren bewegt wie bei 54 Millionen plus 300 Millionen für den Sarg der Maut, verwundert es kaum, dass mit zweierlei Maßstab Steuergelder ausgeschüttet werden. Wo bleibt das Verantwortungsbewusstsein? Wo bleibt die Bereitschaft für seine Fehler einzustehen? Alles Peanuts, oder was?
Diese Soft Skills und Werte könnten bei einem Vorstellungsgespräch, durchaus, insbesondere für Führungskräfte, von ausschlaggebender Bedeutung sein. Wo sind sie versteckt? Oder sind sie schon so degeneriert, dass sie nicht mehr auffindbar sind? Werte lassen sich vermitteln und damit erlernen, Soft Skills habe ich oder eben nicht.
Wie sieht es bei deinem Entscheidungsspielraum aus? Übernimmst du Verantwortung? Oder gibst du lieber wieder Verantwortung ab? Wie hoch ist deine Bereitschaft die Verantwortung für dein Handeln zu übernehmen?
Wundervolle Impulse für die nächsten 7 Tage.
Bleibe inspiriert.
Holger
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